Untersucht wurden in der Studie des Leibnitz-Institutes für Bildungswesen / Georg-Eckert-Institut 252 Schulbücher der Fächer Geschichte, Erdkunde, Politik, Wirtschaft, Gesellschaftslehre, Religion (katholischer, evangelischer und islamischer Religionsunterricht), Praktische Philosophie und Deutsch in beiden Sekundarstufen und für alle allgemeinbildenden Schulformen.
Zugegen waren zwei der Autoren: Dr. Martin Liepach, Historiker, wissenschaftlich-pädagogischer Mitarbeiter des Fritz Bauer Institutes und Gymnasiallehrer für das Fach Geschichte und Dr. Dirk Sadowski, Historiker, wissenschaftlicher Mitarbeiter des Leibniz-Institutes für Bildungsmedien / Georg-Eckert-Institut und Mitglied der deutsch-israelischen Schulbuch-Kommission.
Die Studien zur Darstellung des Judentums in nordrhein-westfälischen Schulbüchern hätten, so die beiden Mitautoren, keinen beabsichtigten Antisemitismus, aber sehr wohl Stereotype zutage gefördert:
„Wir sind auf keinen intendierten Antisemitismus, also keine offene Judenfeindschaft in den Schulbüchern gestoßen“, sagte Dirk Sadowski, „das wäre auch skandalös gewesen. Auch ein pauschales Urteil sei nicht möglich“. Der „sehr guten“ Darstellungen der jüdischen Geschichte, Kultur und Religion stünden allerdings einige „problematische Befunde“ – manchmal teils in ein und demselben Schulbuch – gegenüber.
Antisemitismus äußere sich nicht nur offen, sondern könne sich auch oft unbewusst und sehr subtil äußern. „Er ist latent in unserer Gesellschaft vorhanden.“ So finde man in NRW-Schulbüchern stereotype Überzeichnungen und Klischees wie etwa bei der Darstellung des Judentums im Mittelalter, wo als „Hauptberuf“ den Juden der Geldverleih gegen Zins zugeschrieben werde. Schon seit Langem kritisierten Forscher die Verbindung von Juden und Geld. Das sind Bilder, die antisemitische Vorurteile bestärken können.
Dem Antisemitismus in der Kaiserzeit werde Raum eingeräumt, hingegen gäbe es weniger Hinweise auf die Zeit der Weimarer Republik und die darin stattfindenen Pogrome. Oft fehle auch die Einordnung von Quellen wie antisemitische Karikaturen aus dem Kaiserreich oder von Propaganda-Plakaten der NS-Zeit. Die Diskussion darüber, ob die Bearbeitung von Antisemitismus durch die Reproduktion antisemitischer Darstellungen unterstützt werden solle, müsse neu angestoßen werde. Dies wurde auch von den Tagungsteilnehmenden unterstützt.
Jüdische Geschichte werde so Liepach und Sadowskis vor allem als Geschichte von Verfolgung dargestellt. Der jüdische Widerstand gegen die Nationalsozialisten komme zum Beispiel weniger zum Tragen. Auch kämen oft nur die Täter zu Wort, nicht aber die Betroffenen.
Kritisiert wurde auch, dass die Darstellung des Nahost-Konflikts oft nicht dessen Komplexität gerecht werde. Israel werde weiterhin als vor allem kriegführender Krisenstaat und Besatzungsmacht im Nahen Osten dargestellt. Unter den Geschichtsbüchern fanden die Forscher nur zwei Werke, in denen Israel nicht ausschließlich mit dem Nahost-Konflikt in Verbindung gebracht wurde.
Die Bedeutung des Staates Israel für das Judentum würde so gut wie nicht thematisiert.
Auf den Antisemitismus nach 1945 und in der Gegenwart, wie z. B. in der Pop-Jugendkultur, gehen die Unterrichtswerke kaum ein.
Die untersuchten Schulbücher für den evangelischen und katholischen Religionsunterricht zeigen folgende Befunden: die Mitschuld am Antisemitismus seitens der Kirchen werde offen thematisiert. Neuere Verlautbarungen wie Denkschriften der Landeskirchen und etwa „Nostra Aetate“ würden benannt. Der Bezug des Christentums zum Judentum sei deutlich dargestellt ebenso wie der christlich-jüdische Dialog. Es gäbe keinen Hinweis auf eine Substitutionstheologie.
Kritische Betrachtung müsse aber die in manchen Beispielen vorfindliche Polarisierung von gesetzestreuem Judentum und christlicher Liebesreligion finden. Ebenso der Umgang mit dem Pharisäertum und den Schriftgelehrten / Hohepriestern im Zusammenhang des Todes Jesu.
Sie war nach einer Schulbuch-Kritik des Zentralrats der Juden in Deutschland und dessen Vorsitzenden Schuster, „dass in Deutschland zugelassene Schulbücher nicht frei von Stereotypen in Bezug auf Juden und Judentum seien“, 2018 noch von dem damaligen NRW-Ministerpräsidenten Armin Laschet (CDU) in Auftrag gegeben worden.
Das Georg-Eckert-Institut / Leibniz-Institut für internationale Schulbuchforschung (GEI) wurde durch das Schulministerium im März 2019 mit der Erforschung beauftragt. Der Kriterienkatalog für die Untersuchung wurde gemeinsam mit der Antisemitismusbeauftragten und dem Zentralrat der Juden in Deutschland überprüft.
Mit der Analyse wurde im März 2020 begonnen. Untersucht wurden 252 Schulbücher der Fächer Geschichte, Erdkunde, Politik, Wirtschaft, Gesellschaftslehre, Religion (katholischer, evangelischer und islamischer Religionsunterricht), Praktische Philosophie und Deutsch in beiden Sekundarstufen und für alle allgemeinbildenden Schulformen.
Von den untersuchten Schulbüchern sind zum gegenwärtigen Zeitpunkt 116 Schulbücher nicht mehr zugelassen – aufgrund der neu verabschiedeten Kernlehrpläne im Rahmen der Umstellung von G8 auf G9 sowie der Einführung des Faches Wirtschaft-Politik.
Mittlerweile sind die aktuellen Bildungsmedien der Verlage durch eine Vielzahl von Qualitätssicherungsmaßnahmen weiterentwickelt worden.
Das Ministerium für Schule und Bildung hat in den vergangenen Jahren bereits verschiedene Maßnahmen zur Antisemitismusprävention ergriffen, darunter wurde im Rahmen des Lernmittelzulassungsverfahrens im Jahr 2021 das übergreifende Kriterium „Das Lernmittel ist frei von jeglicher Form von Diskriminierung und gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit“ explizit um den Prüfpunkt „Antisemitismus“ ergänzt.
Regelmäßig werden durch das Schulministerium Fortbildungsmaßnahmen zur Sensibilisierung von Lehrkräften in den Schulen für Formen des Antisemitismus und zur Entwicklung antisemitismuskritischer Bildungsarbeit durchgeführt und unterstützt.
Das Christlich-islamische Schulforum des Pädagogischen Institutes der Evangelischen Kirche von Westfalen, in Zusammenarbeit mit der GEE, ist nur eine der Fortbildungen, mit denen auch unsere Einrichtung in seinen verschiedenen Arbeitsschwerpunkten – und gemeinsam mit den kirchlichen Schulreferaten – diese Sensibilisierung unterstützen wollen.
(Das nächste Christlich-jüdische Schulforum wird im Juni-Newsletter vorgestellt.)
Weitere detaillierte Informationen sowie den Abschlussbericht des Georg-Eckert-Instituts zur Darstellung der jüdischen Geschichte, Kultur und Religion in Schulbüchern des Landes Nordrhein-Westfalen findet man auf der Seite des Schulministeriums NRW
Antijudaimus und Antisemitismus in christlichen Religionsbüchern
Verzerrte Bilder | zeitzeichen.net
(Zeitzeichen Nr. 18 April 2023)
Ursula August
*Das Ministerium für Schule und Bildung kooperiert mit der „Servicestelle für Antidiskriminierungsarbeit – Beratung bei Rassismus und Antisemitismus“ (SABRA) der Jüdischen Gemeinde Düsseldorf. SABRA unterstützt Schulen beim Umgang mit Antisemitismus durch systemische Beratung.